Von Siegfried Letzel
In diesem Teil unserer Artikelserie beginnen wir, Hahnemann in seiner ärztlichen Praxis zu begleiten.
Mit zwanzig Jahren beendete Hahnemann seine Schulbildung in Meißen mit der in Latein verfassten Arbeit „Über den wundervollen Bau der menschlichen Hand“. Er begann alsdann sein Medizinstudium in Leipzig. Dort wurde ihn allerdings keine praktische Heilkunde gelehrt, denn ein der Uni angeschlossenes Krankenhaus gab es nicht. Nur graue Theorie konnte er erlernen. Daher zog er schon bald nach Wien, um unter Dr. Quarin, dem Leibarzt der Kaiserin Maria Theresia und Kaiser Joseph II., auch die ärztliche Tätigkeit am Krankenbett zu studieren. Geldmangel machte es aber erforderlich, dass Hahnemann zu Baron von Brukenthal nach Hermannstadt in Siebenbürgen zog, um dort ab 1777 dessen ansehnliche Bibliothek und Münzsammlung zu ordnen – und gleichzeitig als Hausarzt zu arbeiten. 1779 kam Hahnemann nach Erlangen und schloss dort sein Medizinstudium mit dem Erwerb des Doktortitels ab.
Schon 1784 verfasste der junge Arzt seine erste größere medizinische Schrift, eine „Anleitung, alte Schäden und faule Geschwüre gründlich zu heilen“. Diese Leiden wurden damals wegen der ekelerregenden Wunden gewöhnlich nur indirekt von Ärzten behandelt. Sie wendeten Aderlässe, Schröpfen, Schwitzen an und applizierten Bleisalben und -pflaster als Hauptmittel an. Hahnemann kommentierte dieses Tun mit den Worten: „Das gewöhnliche Ende solcher Kurarten machen alte Weiber, der Scharfrichter, der Vieharzt, der Schäfer und der Tod. Viehärzte sind in der Heilung alter Wunden geschickter als oft der schulgerechteste Professor und Mitglied aller Akademien.“
Hahnemann entwickelte bereits schon jetzt sein selbstständiges Denken und ärztliches Handeln, wobei er immer noch auch althergebrachte Therapien anwendete. Aber er wurde sich seiner Arbeit immer unsicherer, da die Behandlungen seiner und anderer Kollegen den Patienten das Leid selten besserten, sondern leider eher verschlimmerten.
Um seine Therapien erfolgreicher zu gestalten, bediente er sich unterschiedlicher ‚Stellschrauben‘: „Bewegung ist nächst der Nahrung das nothwendigste Bedürfniss der thierischen Maschine, durch sie wird das Uhrwerk aufgezogen. Bewegung und gesunde Luft nur allein treibt jeden Saft unsres Körpers zu dem ihm bestimmten Ort, … verstärkt die Schläge des Herzens, bringt allein gehörige, gesunde Verdauung zuwege und ladet am besten zur Ruhe, zum Schlafe ein, der Zeit der Erquickung und Erschaffung neuer Lebensgeister.“ Hahnemann war Pionier in Sachen Diätetik. Dazu mehr in einem gesonderten Artikel.
Hahnemann sprach auch in kerniger, überzeugender Weise über den Einfluss der Lebensweise, der beruflichen Tätigkeit, der Tageseinteilung und der Wohnverhältnisse auf die Gesundheit. Obwohl es diesen Begriff noch gar nicht gab – Hahnemann war bereits Hygieniker!
Zurück zu den Geschwüren: Hahnemann verbannte Bleipflaster und -salben aus seiner Praxis. Er verband Wunden unter Anwendung von Alkohol zur Desinfizierung und sehr stark verdünntem Sublimatwasser, Höllenstein, Arsenikwasser und Perubalsam. Aber immer verwendete er nur EIN Mittel zu gegebener Zeit. Er ging auch chirurgisch vor, zum Beispiel durch Ausschaben der Wunde. Baldinger, Professor in Jena, Göttingen und Marburg schrieb: „Hahnemann hat seinen Gegenstand sehr gründlich und richtig abgehandelt. Er zeigt, wie verkehrt die bisherige, meist gewöhnliche Behandlung gewesen ist – und lehrt dafür eine bessere.“ Ähnlich positiv wurden noch weitere Schriften Hahnemanns bewertet.
Hahnemann machte sich früh einen Namen in der Ärzteschaft. Innovativ war sein Vorgehen bei sexuell übertragbaren Krankheiten, Typhus, Krätze und mehr.
Hahnemann hatte unter seinen Kollegen den Ruf, ein ‚umsichtsvoller, glücklicher Praktiker zu sein, dem viele ausgezeichnete Kuren gelangen.‘ Hufeland bezeichnete ihn als einen der vorzüglichsten Ärzte Deutschlands. Im Jahre 1791 erwählte ihn die Leipziger ökonomische Gesellschaft, dann die Kurfürstlich-Mainzische Akademie der Wissenschaften, später die physikalisch-medizinische Sozietät in Erlangen zu ihrem Mitglied.
Jedoch tat sich Hahnemann aus der Sicht seiner ärztlichen Kollegen zunehmend als Nestbeschmutzer hervor. Schon 1784 spricht er verächtlich von den ‚Modeärzten‘. 1786 eifert er in seinem Buch über Arsenik gegen den damaligen elenden Zustand der Arzneikunde, gegen die „Pfuscherärzte, der fruchtbarsten Quelle des Todes, welche unter anderem Arsenik in Substanz auf Geschwüre aufpulverten, dadurch oft den Tod der Kranken herbeiführten, und welche dieses Mittel in leicht tödlichen Gaben gegen Wechselfieber gäben“. 1790 tritt er kräftig gegen die damaligen Dozenten in Arzneikunde auf: „Die alten Arzneimittellehrer sind mit ihren Seichtheiten, Unbestimmtheiten, Weibermährchen und Unwahrheiten bis in die neueste Zeit nachgebetet worden. Wir müssen uns mit Gewalt von diesen vergötterten Gewährsmännern losreissen, wenn wir in einem der wichtigsten Theile der practischen Arzneikunst das Joch der Unwissenheit und des Aberglaubens losschütteln wollen. Nun ist es hohe Zeit.“
Um aus dem Gewirr von ‚Beobachtungen‘ und ‚Erfahrungen‘ die Wahrheit herauszufinden, vermied er das geschäftige Handeln am Krankenbette, wie es seine Zeitgenossen übten, und er trat seinen arzneimischenden Kollegen gegenüber schon recht feindlich auf. Hahnemann wurde zu einem enthusiastischen Reformator des medizinischen Systems seiner Zeit. Und damit begann eine völlig neue Ära seiner wissenschaftlichen Arbeit …
Ärztliche Konsultation im Sinne Hahnemanns – Kunststich 1910.