Von Siegfried Letzel
Weshalb gibt es eigentlich heutzutage noch so viel Rummel um einen Samuel Hahnemann, der bereits 1843 das Zeitliche gesegnet hat? Um sich von seinen wissenschaftlichen Leistungen ein Bild machen zu können, müssen wir uns das Weltbild der ‚Gebildeten‘ seiner Zeit vor Augen führen. Hahnemanns Beitrag zur Entstehung der modernen Chemie ist dafür ein schönes Beispiel.
Den Wissenschaftlern des 18. und 19. Jahrhunderts fehlten noch alle Grundlagenkenntnisse in ihren Bereichen und sie mussten erst noch erste Ansätze schaffen, um aus den mittelalterlichen Vorstellungen herauszukommen und rationales Wissen zu schaffen. Die gerade sich entwickelnde Ära der Aufklärung kam Gelehrten wie Hahnemann wie gerufen. Nun ging es weg vom Aberglauben und hin, eigenes Wissen zu schaffen – unter Gebrauch des eigenen Verstandes!
In der Chemie galten noch die Lehren eines Joh. Joach. Bechers (1636-1682) und G. E. Stahls (1660-1734) und damit die Lehre des Phlogiston. Nach Prof. Neumann war dieses das brennbare Prinzip, ohne das nichts auf der Welt brennen kann. Schwefel bestand demnach aus Schwefelsäure und Phlogiston. Holz war Asche plus Phlogiston (Bei der Verbrennung von Holz entflüchtete das Phlogiston und Asche blieb zurück). Wasser war „nichts als eine von der Wärme flüssig gemachte durchsichtige Erde, die man Eis nannte. Es besteht aus vier Elementen: terra vitrescens, terra mercurialis, terra sulfurea und terra inflammibilis.“ Und jener Neumann war zu Zeiten Hahnemanns eine absolute Autorität!
Man war damals also noch auf der Suche nach dem „Grundwesen“ der Körper, den Elementen.
Antoine Laurent de Lavoisier machte endlich den alten ‚Ergrübelungen‘ gegen heftigsten Widerstand ein Ende. Nach ihm verwandelte sich Wasser nicht in Erde, sondern bestand aus Wasserstoff und Sauerstoff. Er zeigte, dass der Oxidationsprozess von Metallen das ‚Einschlucken‘ von Sauerstoff war.
Hahnemann veröffentlichte zu dieser Zeit Artikel in Crell’s Chemischen Annalen. Dabei ging es z.B. um den Einfluss einiger Luftarten auf die Gärung des Weines, über Weinproben von gepanschtem Wein auf Eisen und Blei, um Bereitungsarten von auflöslichem Quecksilber und einiges mehr.
Mit Lavoisier wollte Hahnemann Untersuchungen durchführen, um eine Entscheidung zur Frage zum Phlogiston herbeizuführen. Leider kam es wegen des Ausbruchs der Französischen Revolution nicht mehr dazu, in deren Verlauf Lavoisier unter der Guillotine endete (1794). 1799 erst wurde Lavoisier von den meisten ‚Scheidekünstlern‘ anerkannt. Zu diesem Zeitpunkt war Hahnemann schon viel weiter.
In Sachen Chemie war Hahnemann zwangsläufig Autodidakt. Er übersetzte 1784 zwei Bände von Demachys Werk zur fabrikmäßigen Herstellung chemischer Produkte in die deutsche Sprache. Mit seinen Anmerkungen verbesserte er dieses Werk bedeutend. Dabei war Demachy Mitglied der wissenschaftlichen Akademien zu Paris und Berlin. Hahnemann zeigte erstaunliche Kenntnis in allen Fragen des Buches. Erschöpfend zeigt sich seine Literaturkenntnis die er zum besseren Verständnis des Originalwerkes einsetzte. Oft erklärt er chemische Vorgänge genauer, oder er verbessert Irrtümer und Fehler.
Im Jahre 1786 gibt Hahnemann das Buch „Ueber die Arsenikvergiftung, ihre Hülfe und gerichtliche Ausmittelung“ heraus. Diese für jene Zeit klassische Schrift enthielt laut dem Arzt Bergrath Dr. Buchholtz in Weimar „die besten Arsenikanalysen, die in die gerichtliche Medizin eingeführt wurden“.
Hier schon gehört Hahnemann zu den ersten Vorreitern überhaupt, die dazu beitrugen, die neuesten Kenntnisse zur Chemie in der Medizin zu verwerten. Und dieses tat er sehr erfolgreich, wie wir in unserem nächsten Artikel noch sehen werden.
Unsere Ausstellung zeigt ein seltenes Juwel aus jener Zeit. Es handelt sich hierbei um eine Ausgabe von Crell’s Chemischen Annalen aus dem Jahre 1789. Hierin schreibt Hahnemann 2 Artikel, den Ausführlicheren über „Die Entdeckung eines neuen Bestandtheils im Reißbley“ (Graphit). Unmittelbar vor Hahnemanns Schrift findet sich auch eine von Antoine Lavoisier: „Betrachtungen über das brennbare Wesen zur Entwicklung der Theorie vom Verbrennen und Verkalken“. Wer will jetzt noch Zweifel daran hegen, dass Dr. Samuel Hahnemann nicht in der Topriege der weltbekanntesten Chemiker seiner Zeit geforscht habe? Und damit war er noch weit am Anfang seiner wissenschaftlichen Studien …