Hahnemann, ein unermüdlicher Mensch

Von Siegfried Letzel

Der jüngere Samuel Hahnemann hat in seinem Leben fast alle Schritte mit Entbehrungen erkaufen müssen. Diese formten einen schmächtigen, sehnigen aber kerngesunden Menschen, der wie aus hartem, beständigen Holz geschnitzt war. Und so konnte er bis ins hohe Alter unermüdlich tätig bleiben und sogar bis zuletzt im 88. Lebensjahr eine sehr erfolgreiche Arztpraxis führen.

Hahnemanns Gesichtsausdruck wird als fesselnd und bestrickend beschrieben. Seine schon früh entstandene hohe Stirn – seine Haarsträhnen umwallten nur noch Schläfen und Hinterhaupt – unterstrich die Physiognomie eines Denkers. Seine tief unter die Stirn eingegrabenen Augen blickten hell und eindringlich und bedurften nie korrigierender Augengläser. Sein Gesichtsausdruck zeigte ‚natürliche Milde, aber auch unerbittlichen, klaren Ernst, durchleuchtet von einem Strahl hingebender Liebe und Dienstbereitschaft den Menschen gegenüber‘. Er hatte fast frauenhaft zarte Hände, aber eine in ihrer Festigkeit, Geschlossenheit und Gleichmäßigkeit ausgesprochen männliche Charakterhandschrift durch und durch.
Seine Sparsamkeit zeigte sich in der Wahl des einfachen, billigen Papiers.
Er füllte die Seiten von oben bis unten, ließ niemals größere leere Räume frei. Seine Niederschriften sind reinlich und sauber, Änderungen und Verbesserungen selten. Dies ist ein Beweis für seine Konzentrationsfähigkeit verbunden mit der Schärfe und Klarheit seiner Gedanken bei völliger Beherrschung und Durchdringung des Stoffes, über den er schrieb.
Zeile ist eng an Zeile gereiht, jede davon geht schnurgerade über das Blatt Papier.
Durch die Rauheit des Papiers und der Kleinheit seiner Schrift konnte er nur ungespaltene Federkiele verwenden. Erst 1833 scheint er zu Stahlfedern übergegangen zu sein.

Wir beherbergen eine äußerst seltene Handschrift Hahnemanns mit wissenschaftlichem Text – so, wie sie auf dem Antiquitätenmarkt fast nie angeboten wird.


Dieses hier abgebildete Blatt hat eine Größe von 17,5 x 21,5 cm. Die Schriftgröße lässt sich anhand der Stecknadeln neben der Überschrift abschätzen. Und so schrieb Hahnemann viele tausend Seiten.

Die zwei Seiten, die das Hahnemannzentrum verwaltet, entstammen dem Manuskript für den 6. Band seiner Reinen Arzneimittellehre, 2. Auflage, das er zwischen 1822 und 1827 verfasst hat. Übrigens galten die Manuskriptseiten für die Arzneien Wütherich und Zinn als verschollen bzw. verloren. Dieses von Zinn ist das einzige, dessen Verbleib bekannt ist. Das alleine schon bezeugt den historischen Wert dieses Schriftstücks.

Zurück zu Hahnemann: Er war auch sparsam an leiblichen Genüssen. Auch während seiner wohlhabenden Zeit erlaubte er sich dünnes, süßliches Bier und sein Pfeifchen. Wein, Kaffee oder Tee trank er nur selten. Ansonsten schien er sich mit seiner Arbeit jung zu halten. So schrieb er einmal: „Spät abends legt man sich todmüde zur Ruhe und steht nach kurzem Schlaf morgens frisch und gestärkt zu neuer Arbeit auf.“
Der englische Arzt Dr. Dudgeon schrieb einmal: „Von seinem Bienenfleiß können wir uns erst eine richtige Vorstellung machen, wenn wir uns vergegenwärtigen, dass er etwa 100 verschiedene Arzneimittel prüfte, dass er annähernd 70 Originalarbeiten über Chemie und Medizin verfasste, von denen etliche mehrere stattliche Bände umfassen und dass er 24 teilweise mehrbändige Werke aus dem Englischen, Französischen, Italienischen und Lateinischen übersetzte, die sich mit Chemie, Arzneikunde, Agrikultur und allgemeiner Literatur beschäftigten. Und das alles neben seinem Arztberuf und seiner Tätigkeit als Lehrer!“
Dabei hatte Dudgeon keinen Einblick in die zahlreichen und stattlichen Bände der Krankenjournale Hahnemanns und seiner Repertorien, auch nicht in die noch heute unübersehbare Zahl der Krankenbriefe, die bei ihm einliefen und die er alle las, mit der kurzen Inhaltsangabe seiner Antworten versah und ausführlich beantwortete.
Hahnemann war ein seltener Meister seiner Muttersprache, die dem Stil der klassischen deutschen Literatur entspricht. Im hohen Alter dann wurde Hahnemanns Sprache schwerfälliger und schwulstiger. Typisch waren die ungemein langen Sätze mit häufigen Zwischensätzen und erklärenden Einfügungen. Seine Satzgebilde waren kompliziert, unübersichtlich und schwer verständlich. Außer in seinen Briefen: sie waren sprachrichtig verfasst und leicht und flüssig zu lesen.